Pflege und Förderung der Kultur

Was ist ein Mensch ohne Kultur.

Junge Generation der russlanddeutschen Kulturschaffenden: Zwischen Verantwortungsgefühl und Modernisierung der Kultur

Autorin Katharina Martin-Virolainen über die Rolle der jungen russlanddeutschen Kulturschaffenden 

Neulich sagte Anna Hoffmann, die Regisseurin des Films „POKA – Heißt Tschüss auf Russisch“ in einem Radiointerview, dass viele Russlanddeutsche sich mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit integriert haben. Sie selbst siedelte vor vielen Jahren nach Deutschland um, versteht und fühlt sich aber als Russlanddeutsche, und gibt sich auch als solche zu erkennen. Auf die Frage, warum ihr das so wichtig sei, verriet sie mir in einem Gespräch: „Das hat was mit Wohlfühlfaktor und Lebensqualität zu tun. Wenn man weiß, woher man kommt, dann hören die Identitätskrisen auf. Das gibt mir persönlich ein gutes Gefühl zu wissen, wer ich bin. Ich kann mich selbst besser verstehen. Ich kenne die Geschichte meiner Vorfahren und weiß, warum ich so bin wie ich bin, warum ich in manchen Situationen vielleicht anders handle oder anders denke. Man ist viel ausgeglichener, wenn man sich nicht versteckt. Manche unserer Landsleute tun so, als ob das Leben erst angefangen hat, als sie hierher nach Deutschland kamen. Aber was war denn davor? Es gab davor ja auch ein Leben! Und ich glaube fest daran, dass die Kräfte der Verdrängung irgendwann verbraucht sind und das führt schnell zu Identitätskrisen.  Wenn man sich aber mit dem Schicksal seiner Vorfahren beschäftigt und mit seiner eigenen Übersiedlungsgeschichte ebenfalls, dann kann man besser verstehen, warum man bei manchen Sachen z.B. verletzlich ist oder warum einige Sachen einen eher amüsieren.“

 

Ihr Film wirkt trotz der kleinen und großen Dramen, welche die Hauptfiguren erleben, nicht beschwerlich. Im Gegenteil. Obwohl einige Momente traurige oder gar unangenehme Erinnerungen wachrufen, hat man das Gefühl durch die Handlung zu flattern und genau das wollte Anna Hoffmann mit ihrem Film erreichen:  

„Ich habe manchmal den Eindruck, dass vieles, was mit der Geschichte der Russlanddeutschen zusammenhängt, einen sehr wuchtigen und bedrückenden Touch hat. Das ist auch verständlich, denn es ist ein sehr schwieriges Thema. Es geht meistens um Deportationen, über die Trudarmee und das schwierige Schicksal unserer Volksgruppe. Aber ich wollte mal was Modernes schaffen und zeigen, dass wir auch ganz normale Leute sind und dass man auch einiges mit Humor nehmen kann und dass man dabei sogar lachen kann! Und ich denke, das ist mir und meinem Team gelungen. Im Vordergrund des Films stehen eine ganz normale Familie und eine schöne Liebensgeschichte.“  

 

Während Anna Hoffmann die Filmwelt erobert, begeistert eine andere russlanddeutsche Künstlerin auf der Bühne mit ihrem außergewöhnlichen Charme und ihrer Stimme, die fast schon überirdisch klingt. Helena Goldt, eine junge Russlanddeutsche aus Kasachstan, die mit ihrem musikalischen Können nicht nur das Publikum in Deutschland, sondern auch im Ausland bezaubert. Doch Helena ist nicht nur eine ausgezeichnete Sängerin und Entertainerin, sondern engagiert sich gesellschaftlich als Kulturbotschafterin der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und trägt so maßgeblich zur Entwicklung und Förderung der russlanddeutschen Kultur, sowie zur Völkerverständigung bei. Ihr Repertoire ist breitgefächert, es reicht vom Chanson bis zu modernen Pop-Songs, doch Heimat und Sehnsucht sind ein fester Bestandteil ihres Programms.

 

Und während Anna an ihren Filmprojekten arbeitet und Helena mit ihrer Musik das Publikum bezaubert, sitze ich in meinem stillen Kämmerlein und schreibe. Worüber? Über alles, was mich gerade beschäftigt. Als Russlanddeutsche. Als Frau. Als Mensch. Ich schreibe gern über das Schicksal meiner Vorfahren, aber auch über meine eigene Übersiedlungsgeschichte. Denn auch ich bin ein Teil dieser, (ich würde behaupten), in der gesamten Menschheitsgeschichte, in dem Ausmaß, einzigartigen Rückwanderung eines ganzen Volkes. Mir ist bewusst, dass die Verantwortung und der Aufgabenbereich von Generation zu Generation für die jungen Russlanddeutschen wachsen. Wir müssen nicht nur die Geschichte unserer Vorfahren aufbewahren und weitertragen, sondern auch unser eigen Zeugnis ablegen. Doch, was heißt das für uns, die Vertreter der jungen Generation, ein russlanddeutscher Autor, Künstler oder Sänger zu sein? Da gehen die Meinungen oft auseinander.

 

Bin ich etwa nur dann eine russlanddeutsche Autorin, wenn ich über die Schrecken der Deportation und das schwere Schicksal meiner Vorfahren schreibe? Oder bin ich auch eine russlanddeutsche Autorin, wenn ich mich von Emotionen überwältigen lasse und ein Gedicht über die Liebe verfasse? Dürfen wir in unseren Werken auch andere Themen behandeln? Muss die Geschichte unserer Vorfahren stets ein präsentes Element unseres kulturellen Schaffens sein? Oder können wir uns komplett davon lösen und einen ganz neuen Weg einschlagen?

 

Es gibt dazu keine Universallösung. Kein Gesetz und keine Regel. Deshalb handelt jeder so, wie er es für richtig hält. In unseren Filmen, Liedern, Gedichten und Bildern erzählen wir, die junge Generation der Russlanddeutschen, was uns bewegt. Auch wenn unsere Lieder oder Kurzgeschichten andere Themen zum Schwerpunkt haben, so soll es nicht heißen, dass wir unsere Verantwortung, die wir unseren Vorfahren und unseren Kindern gegenüber tragen, vergessen haben.

 

Nun sind wir die Stimmen der Deutschen aus Russland. Wir sind die neue Generation: Stolz auf unsere Herkunft, stolz auf unsere Geschichte, stolz darauf, zu einer Volksgruppe mit einem einzigartigen Schicksal zu gehören. Wir möchten eine Kulturbrücke zwischen den Russlanddeutschen und den Einheimischen darstellen und zu mehr Verständnis zwischen den Generationen beitragen. Wir verstehen die Sorgen der älteren Generation und wissen, was die jungen Menschen von heute bewegt. Wir sind so wie wir sind. Jeder einzigartig und alle irgendwie doch gleich.

 

Doch Stimmen muss man sprechen lassen. Aus diesem Grund lassen startet im November in Baden-Württemberg eine Veranstaltungsreihe mit Auftritten von Helena Goldt, einer Vorführung des Films „POKA – Heißt Tschüss auf Russisch“ mit Anna Hoffmann, Gesprächsrunden zur russlanddeutschen Kultur, Literaturabende und noch vielem mehr. Die Veranstaltungen werden in Kooperation mit städtischen Einrichtungen, kulturellen Institutionen, sowie gleichgesinnten Vereinen durchgeführt. Nähere Infos und Termine werden in der nächsten Ausgabe „Volk auf dem Weg“, auf der Website www.martikat.de und auf der Facebook-Präsenz der Jugend-LmDR Baden-Württemberg bekanntgegeben. Die Veranstaltungen finden im Raum Heilbronn, Sinsheim, Heidelberg und Stuttgart statt.

 

Für mehr Informationen und zur Kontaktaufnahme melden Sie sich bei der Landesvorsitzenden der Jugend-LmDR Baden-Württemberg und Organisatorin der Veranstaltungsreihe Katharina Martin-Virolainen. Email: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder über das Kontaktformular auf der Website www.martikat.de


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