Ein Interview mit Dimitrij Wall

Geschichte eines Russlanddeutschen, der nicht so viel Glück hatte, wie andere. Er sitzt stundenlang im JobCenter und versucht, aus dieser Lebenssituation zu entfliehen. Darüber erzählt der junge Autor Dimitrij Wall in seinem kürzlich erschienenen Buch „Gott wil uns tot sehen“. Wir trafen Dimitrij in Berlin und fragten ihn, ob er in seinem Debütroman sich selbst beschrieben hat.

Lena Arent: Dimitrij, dieser Titel „Gott will uns tot sehen“ klingt ja provokativ. Hast du dein Buch mit Absicht so benannt?

Dimitrij Wall: Ich empfinde das nicht als eine Provokation. Das ist ja so – jeder muss von uns sterben. Auch Jesus musste sterben. Das mögen andere anders sehen, ich sehe das so. Deswegen ist es für mich keine Provokation – im Gegenteil – wenn man das akzeptiert, dass man sterben muss, fängt man an zu leben. Weil man ja nicht weiß, was ist nach dem Tod. Viele behaupten das zu wissen, aber letzendlich weiß das niemand. Ich kümmere mich erstmal um mein Leben, und mit dem Tod wird man sich früh genug auseinandersetzen müssen. Natürlich sehen das viele, die religös sind, anders, aber die respektiere ich. Damit will ich die auch nicht in ihrem Glauben kränken.

Worum geht es also in deinem Buch? Ist das tatsächlich die Geschichte eines Losers, der öfters stundenlang im Jobcenter sitzt...?

Ich sehe das anders. Es ist kein Loser, es ist einfach jemand, der erstmal vielleicht nicht so viel Glück hatte wie andere. Er versucht ja, aus dieser Situation rauszukommen. Er hatte viele Schicksalschläge, ein unglückliches Umfeld: der Vater trinkt, weil seine Mutter stirbt. Das kann vielen Leuten passieren und ist auch vielen Leuten passiert. Die Frage – was macht man daraus? Wird man jetzt kriminell? Oder versucht man den legalen, den ofiziellen Weg zu gehen – mit Arbeit, mit Bildung, und wie schwer ist das hier in Deutschland, in einem vermeintlich zivilisierten Land?

Ist dein Buch autobiographisch?

Sehr. Ich schreibe gern über die Dinge, mit denen ich mich auskenne. Der Protagonist heißt Dimitrij Wolf, aber das bin nicht ich, sonst wäre das ein Sachbuch. Und das ist ein Roman. Einige Dinge sind da erfunden oder übertrieben dargestellt – einfach literarisch umgesetzt.

Ich finde, du schreibst sehr pessimistisch, aufrichtig und direkt...

Viele sagen, dass das pessimistisch ist. Wie ein Künstler ein Bild malt, schreibe ich ein Buch und jeder sieht das, was er darin sehen möchte. Viele sehen darin eine sehr pessimistische Weltsicht, manche sehen aber was Positives. Es hat genau soviele gegeben, die gesagt haben – ja, das ist ein tolles Buch, das macht mir Mut und so. Es kommt darauf an, in welcher Lebensphase oder in welcher Emotion man das liest. Wenn einer ein superschönes Leben hat und das Buch liest, dann denkt er vielleicht – „er sieht wirklich alles nur noch schwarz“. Aber wenn es ein Mensch liest, der in einer ausweglosen Situation steckt – der kann daraus Mut ziehen. Dann ist es vielleicht sehr positiv. Nicht allen Menschen geht es ja immer nur gut... Mein Buch ist vielleicht ein Buch, was man lesen sollte, wenn es einem nicht so gut geht.

Du bist ein Spätaussiedler. Wirst du in Deutschland als ein Russe wahrgenommen?

Ich habe eine Besonderheit: mein Vater ist Volgadeutsche, aber meine Mutter ist Russin. Richtige Russin. Deswegen werde ich immer ein Russe sein. Aber in erster Linie bin ich natürlich irgendwie deutsch, da ich seit 25 Jahren hier bin. Ich wurde hier sozialisiert und das geht nicht mehr weg. In dem Buch spreche ich oft an, dass man immer der Russe ist für die Leute – allein wegen meines russischen Vornamens. Ich mag aber diese Einteilungen in Nationalitäten nicht, da ich mich immer gerne als ein Mensch sehe. Aber viele Menschen fragen mich: „Wie sind die Russen so?“

Und wie fühlst du dich hier als derjenige, der russische Hintergründe hat?

Ich fühle mich sehr wohl damit. Ich sehe darin eigentlich nur Vorteile mittlerweile. Früher, als ich zur Schule gegangen bin, wollte ich das verleugnen, habe das als Nachteil gesehen... Jetzt hat es sich für mich zum Vorteil entwickelt. Ich sehe Dinge immer aus verschiedenen Perspektiven und das hilft im Leben in verschiedensten Situationen. Jetzt gibt es zum Beispiel diesen Konflikt zwischen Russland und der westlichen Welt sozusagen. Und da werde ich darauf angesprochen: „Bist du denn für Putin?“ Nein, ich bin dafür, dass sich die Menschen verstehen, dass sie miteinander reden und sich nicht gegeneinander aufhetzen. Und wenn man aufhört, gegeneinander zu reden, wird man zwangsläufig anfangen zu schießen.

Warum sollte man dein Buch lesen?

Im Buch beschreibe ich, was von vielen ignoriert und nicht ernst genommen wurde. Weil auch Themen wir Drogen, Alkohol und zerrüterte Liebesbeziehung darin vorkommen. Die meisten Leute widmen diesen Themen nicht so viel Zeit. Ich finde, Menschen sollten grundsätzlich mehr Bücher kaufen. Leute kaufen viel zu wenig Bücher, weil das ist wie Urlaub für den Geist. Man muss das Buch auch nicht in einen oder zwei Tagen durchlesen, man kann sich erstmal zwei oder drei Seiten vornehmen, und das langsman lesen. Vielleicht nimmt man aus dem Buch auch was fürs Leben mit.

Hintergrundinformation:

Zur Person:

„Dimitrij Wall wurde 1986 in Kasachstan in der ehemaligen Sowjetunion geboren. Nach seinem Hauptschulabschluss besuchte er zunächst die höhere Handelsschule, um dann an der Fachoberschule für Wirtschaft sein Fachabitur nachzuholen. Nach dem Abbruch des Studiums der Wirtschaftspädagogik zog es ihn nach Berlin, wo er heute Journalismus & Unternehmenskommunikation an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft studiert. Während seines Studiums arbeitet Dimitrij Wall journalistisch und ist freier Autor beim Vice Magazin.“ (luebbe.de)

Kritik zum Buch:

„Es ist ein starkes Debüt, das der in Kasachstan geborene Dimitrij Wall hinlegt. Von einigen wird er gar als der heißeste Newcomer des Jahres gefeiert. Eindrücklich geschrieben, verarbeitet hier einer seine Erfahrungen und lenkt den Blick auf ein Milieu, das normalerweise keine Literaten hervorbringt.“ (napster.de)

Dimitrij Wall über sich im „Vice“-Magazin:

„Der Wartesaal 5a des Jobcenters Reinickendorf trägt die Last von circa 40 bis 50 Personen. Etwa 25 davon sind junge Männer. Ich bin einer von ihnen. Mein Name ist Dimitrij Wall. Ich bin 28 Jahre alt und trage eine im Schritt aufgescheuerte Jeans und ausgetretene Halbschuhe. Meine Füße sind nass. Als Kind eines Wolgadeutschen und einer Don-Kosakin in Kasachstan geboren lebe ich seit 25 Jahren in Deutschland. Seit zehn Jahren versuche ich, seinen Fabriken zu entkommen. In der Hoffnung, es endlich zu schaffen, nahm ich ein Journalismusstudium auf. Mittlerweile bin ich im siebten Semester, habe einen Roman geschrieben und arbeite an meiner Bachelorarbeit. Doch was meinen sozialen Aufstieg besiegeln sollte, erweist sich immer mehr als direkter Weg in die Armut. Da ich die Regelstudienzeit um ein Semester überschritten habe, bekomme ich seit September kein BAföG mehr. Mein Studienkredit reicht gerade so für die Miete. Weil einige Aufträge überraschend ausgefallen sind, kann ich meine Krankenversicherung seit drei Monaten nicht bezahlen. Meine Gesamtschulden belaufen sich auf etwa 15.000 Euro. Mir droht die Exmatrikulation.“

 

Lena Arent


Kommentare