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Einfach nur so.

Der Bundesvorstand der Jugend-LmDR stellt sich vor: Walter Frank

„Ich wünsche mir von unseren Leuten mehr Mut zur Offenheit, Zusammenarbeit zwischen den Generationen und eine stärkere politische Beteiligung!“

Walter Frank, 36 Jahre alt, seit Dezember 2018 Mitglied des Bundesvorstandes der Jugend-LmDR. Er lebt in Hamburg und ist stolzer Papa einer 9-jährigen Tochter. Walter Frank ist Jurist und arbeitet zurzeit bei der gemeinsamen Rechtsstelle der Bundesagentur für Arbeit und der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration in Hamburg. Über seinen Werdegang in Russland, seine berufliche Integration in Deutschland und seine Visionen hat er uns in einem Interview berichtet.

VadW: Walter, du hast einen sehr interessanten Werdegang. Wie bist du zu deinem Beruf gekommen?

Walter: Als Kind stand für mich fest, dass ich irgendwann Arzt werde. Meine Oma war Ärztin, und ich besuchte zwischen der achten und elften Schulklasse sogar Unterricht mit medizinischem Schwerpunkt. Doch in der zehnten Klasse bin ich mit dem Bereich der Rechtswissenschaften in Berührung gekommen und habe festgestellt, dass mich das viel mehr interessiert als Medizin. Meine Prioritäten änderten sich schlagartig, aber ich habe die Entscheidung bis heute kein einziges Mal bereut. Meine Beschäftigung entspricht voll und ganz meiner Persönlichkeit und meinen Überzeugungen. Geboren und aufgewachsen bin ich in Kasachstan, im Gebiet Kustanaj, heute Qostanai, in der Stadt Rudny. Mit sechzehn Jahren beschloss ich, selbständig nach Russland zu ziehen. Von 1999 bis 2008 lebte ich in Tscheljabinsk. Zunächst absolvierte ich ein juristisches College. Danach studierte ich Jura an der Moskauer Akademie für Recht und Verwaltung in Tscheljabinsk. Wir hatten ein Blockstudium und fuhren zu den Vorlesungen für zwei bis drei Monate nach Moskau. Das Besondere an unserem Studium war, dass wir nicht von Professoren, sondern von Leuten aus der Praxis unterrichtet wurden. Sie wussten, worauf es ankommt, und ich bin sehr dankbar, diese Ausbildung genossen zu haben. Parallel zu meinem Studium arbeitete ich als Jurist in Teilzeit. Die praktische Erfahrung war sehr hilfreich. Nach meinem Abschluss im Jahr 2005 begann ich, bei einem großen Unternehmen in der Rechtsabteilung zu arbeiten. Gleichzeitig stellte ich den Antrag auf Ausreise nach Deutschland - wieder allein, ohne meine Eltern. Das war im Dezember 2005, und im Februar 2006 konnte ich bereits den Sprachtest in Moskau absolvieren. Diesen bestand ich und erhielt bereits Ende 2007 den Aufnahmebescheid. Im Jahr 2008 kam ich mit meiner Frau, mit der ich zu dem Zeitpunkt drei Jahre verheiratet war, nach Deutschland. Da ich keine direkten Verwandten hier hatte, konnte ich mir aussuchen, wo ich leben wollte. Ich wählte Hamburg und bin bis heute glücklich mit dieser Entscheidung.

Wie verlief deine berufliche Integration hier in Deutschland ?

Als ich 2008 ankam, besuchte ich zuerst einen Integrationskurs. Leider hat er mir nicht besonders viel genutzt. Für mich war das kein Integrationskurs, sondern ein reiner Sprachkurs. Dort konnte man maximal das Level B1 (selbständige Sprachverwendung) erreichen. Mir war das zu wenig. Ich sprach meinen Dozenten darauf an, ob ich vorzeitig einen Sprachtest machen könnte. Diesen bestand ich nach einem Monat. Anschließend kam ich zur Otto-BeneckeStiftung und kümmerte mich parallel um die Anerkennung meines Diploms. Mein Abschluss wurde als Erstes Staatsexamen anerkannt. Ich musste also noch ein Referendariat absolvieren, doch mir fehlte es an gewissen Grundkenntnissen im deutschen Rechtssystem. Ab März 2009 besuchte ich daher einen Jura-Intensivkurs. Das war nicht einfach für mich. Die Fachsprache war eine große Herausforderung! Nach dem Jura-Intensivkurs begann ich mit meinem Referendariat. Ich wollte einen Einblick in alle Bereiche des Rechts bekommen. Besonders interessierten mich das Steuer- und das Strafrecht. In Russland war ich auf Steuer- und Zivilrecht spezialisiert gewesen, mit Strafrecht hatte ich nicht viel zu tun gehabt. Nun bekam ich die Gelegenheit, neun Monate lang mit einem Strafverteidiger zusammenzuarbeiten. Eine unglaubliche Erfahrung, trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, mich ein ganzes Leben damit zu beschäftigen. Nach dem Referendariat kam die Frage auf, wie es nun weitergehen soll. Richter oder Staatsanwalt kam für mich nicht in Frage. Rechtsanwalt hatte mich auch nicht besonders gereizt, denn ich liebe es, im Team zu arbeiten und als Rechtsanwalt ist man oft Einzelkämpfer. Bei einem großen Unternehmen zu arbeiten, war für mich ebenfalls nicht optimal, in erster Linie wegen meiner persönlichen Situation. Zu der Zeit war ich bereits geschieden und alleinerziehender Papa. Also kam für mich nur die Arbeit bei einer Behörde in Frage. Nach einem Vorstellungsgespräch entschied ich mich fürs Sozialrecht. Dort kann ich alle meine Fähigkeiten entfalten und gleichzeitig Menschen helfen. Das ist außerdem gut mit meiner ehrenamtlichen Tätigkeit vereinbar. Neben meiner Arbeit verspürte ich den großen Wunsch, darüber hinaus noch Menschen zu helfen. Ich knüpfte den Kontakt zu Nikolaus Haufler, einem russlanddeutschen Abgeordneten in der Hamburger Bürgerschaft. Ich unterstützte ihn während des Wahlkampfs im Winter 2015 und beriet unsere Landsleute in sämtlichen Fragen ehrenamtlich. Von diesem Zeitpunkt an begann ich, mich für die CDU und die Parteiarbeit zu interessieren. Mir wurde bewusst, wie wichtig es für die Menschen ist, eine Anlaufstelle zu haben, wo sie Hilfe bekommen können. Insbesondere für Menschen, die keine Finanzen haben, um sich von einem Rechtsanwalt beraten zu lassen, oder für unsere Landsleute, die beispielsweise nicht wissen, an wen sie sich in welchen Fällen wenden können.

Wie bist du eigentlich zur Landsmannschaft gekommen?

In Hamburg wurde ein Aussiedlernetzwerk innerhalb der CDU gegründet. Seit Mai 2017 bin ich Vorsitzender dieses Netzwerkes. Unsere Arbeit hat momentan zwei Schwerpunkte: Zunächst sind das öffentliche Veranstaltungen zu unterschiedlichen Themen, die Deutschen aus Russland beziehungsweise Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern wichtig sind. Diese finden einmal in drei bis vier Monaten statt. Die Veranstaltungen führen wir in Kooperation mit unterschiedlichen Behörden und russischsprachigen Rechtsanwälten durch. Der andere Schwerpunkt ist die Kooperation mit russischsprachigen Sozialberatern, die zum Beispiel beim Deutschen Roten Kreuz oder der Diakonie tätig sind. Menschen wenden sich an uns mit den unterschiedlichsten Fragen. Es ist enorm wichtig, den Sozialberatern in Rechtsfragen Hilfe zu leisten. Deshalb bieten wir für sie regelmäßig Schulungen an. Anfangs waren einige Teilnehmer skeptisch. Bei den ersten Schulungen waren es fünf bis sechs Teilnehmer, mittlerweile sind es regelmäßig 25 bis 30. Das ist ein großer Erfolg. Über dieses Aussiedlernetzwerk habe ich den Bundesvorsitzenden der Jugendorganisation der LmDR, Walter Gauks, kennengelernt. Wir haben uns in vielen Telefongesprächen ausgetauscht und festgestellt, dass wir zahlreiche Schnittpunkte in unserer Arbeit haben. So kam ich im Dezember 2018 nach Hessen zu einer Veranstaltung der Jugendorganisation. Dort lernte ich tolle Leute kennen, die ähnliche Ideen und Ziele wie ich haben. Das hat mich inspiriert und motiviert. Also stellte ich mich zur Wahl für den Bundesvorstand. Ich möchte die Möglichkeit nutzen, noch mehr Menschen zu erreichen und zu vernetzen und dadurch noch mehr helfen zu können

Wie kann man noch mehr junge Menschen für die LmDR gewinnen?

Die Vertreter der jungen Generation möchten oft nicht beitreten, weil sie andere Ansichten haben als ältere Menschen. Sie schließen sich eher einheimischen Vereinen an, weil sie mit der Landsmannschaft nichts anfangen können. Oft entscheiden sie sich für Vereine, die ihre Kinder besuchen. Die Generation zwischen 30 und 45 Jahren ist anders geprägt als die Generation der Eltern und Großeltern. Die Jungen fühlen sich manchmal ausgegrenzt, weil sie mit ihren Vorstellungen und Ansichten bei den Älteren auf Widerstand stoßen. Die Älteren halten oft an ihren vertrauten Strukturen fest und stehen Veränderungen skeptisch gegenüber. Ich versuche, zwischen den Generationen so gut es geht zu vermitteln und Themen anzusprechen, die jungen Leuten wichtig sind. Wenn man ihr Interesse weckt, kann man sie auch für die Landsmannschaft gewinnen. Und eine Zusammenarbeit zwischen den Generationen ist wichtig für den Erhalt unseres Verbandes und unserer Geschichte.

Woher kommt dein Interesse für die Geschichte der Deutschen aus Russland?

Mein Großvater mütterlicherseits war Schwarzmeerdeutscher und wurde während des II. Weltkrieges in Deutschland eingebürgert. Die entsprechenden Dokumente habe ich später im Bundesarchiv gefunden. Mein Großvater sprach mit mir immer deutsch. Er wurde 1939 in einer deutschen Kolonie im Schwarzmeergebiet geboren. Durch den Einmarsch der Wehrmacht kam er mit seiner Familie im Jahr 1941 nach Deutschland. Nach dem Krieg wurde er zurück in die Sowjetunion deportiert. Viele Jahre hat man darüber kaum gesprochen. Erst Anfang der Neunziger, wir lebten damals noch in Kasachstan, begann mein Großvater, sich zu öff nen. Meine Mutter und ihr Bruder waren schon erwachsene Menschen mit eigener Familie und eigenen Sorgen. Also hat mein Großvater mir seine ganze Seele ausgeschüttet. Er hat meine Kindheit sehr bereichert. Die Tatsache, dass ich Deutscher bin, störte mich überhaupt nicht. Das war mir im Gegenteil sehr wichtig. Es war ein Teil meiner Identität. Und das hatte ich meinem Großvater zu verdanken. Mein anderer Opa - der Vater meines Vaters - war Wolgadeutscher. Auch er hat mir viel über die schreckliche Zeit berichtet, als sie deportiert wurden. Ich bin dankbar dafür, dass meine Großeltern mit mir ihre Erfahrungen geteilt haben. So konnte ich viel über das Schicksal beider Gruppen, der Schwarzmeerdeutschen und der Wolgadeutschen, lernen.

Wenn du dir etwas von unseren Landsleuten wünschen könntest, was wäre das?

Ich würde mir wünschen, dass unsere ältere Generation ihre Erfahrungen mit ihren Kindern und Enkeln teilt. Oft erlebe ich, dass die Älteren in russlanddeutschen Vereinen sehr aktiv sind, aber triff t man ihre Kinder und Enkelkinder, so wissen diese nichts über ihre Herkunft oder die Geschichte ihrer Großeltern. Damit unsere Geschichte weiterleben kann, muss man sie in erster Linie auf der Familienebene vermitteln. Viele Kinder und Enkelkinder entwickeln das Interesse an ihrer Herkunft und ihrer Geschichte oft von selbst. Aber manchmal leider zu spät. Deshalb sollten die Großeltern nicht abwarten, bis dieses Interesse erwacht und sie gezielt darauf angesprochen werden. Sie sollen einfach draufl os erzählen! Irgendwas wird auf jeden Fall in Erinnerung bleiben. Ich kann verstehen, dass es ein schwieriges Thema ist, doch wenn die Älteren darüber nicht mit uns sprechen - wer soll es sonst tun? Für jeden Menschen ist es wichtig, zu wissen, wo er herkommt. Seit der ersten Klasse spreche ich off en mit meiner Tochter darüber. Ich erzähle ihr, wer wir sind und woher wir kommen. Viele Menschen denken, wenn man hier die Sprache gelernt hat, ist die Integration abgeschlossen. Da gehört jedoch viel mehr dazu! Genauso ist es mit der Herkunft. Es geht nicht nur um die Sprache, sondern auch um Geschichte und Kultur. Oft geht es nach hinten los: Eltern bringen ihren Kindern Russisch bei, und dann interpretieren es die Kinder falsch und meinen, sie seien Russen. Aber über die Geschichte wissen sie gar nichts: Wer wir sind, warum wir aus Russland kommen, dass wir eigentlich deutsche Wurzeln haben. Das bleibt oft auf der Strecke. Ich wünsche mir, dass diese Inhalte nicht nur auf Familienebene vermittelt werden, sondern dass wir im Rahmen unserer ehrenamtlichen Arbeit mehr Veranstaltungen für Jugendliche anbieten, bei denen diese Themen behandelt werden. Nicht auf monotone oder besserwisserische Art, sondern jugendgerecht, um die Geschichte für sie verständlich und greifbar zu machen. Mein zweiter Wunsch ist, dass die Generationen zusammenarbeiten. Dass junge Ideen - wie verrückt sie auch sind - aufgegriff en werden. Wir sind die Generation, die das Werk fortführen wird. Wenn unsere Ideen bereits im Keim erstickt werden, verlieren wir das Interesse daran und die Motivation, überhaupt etwas zu machen. Mein dritter Wunsch ist mehr Beteiligung an der Politik. Unsere Eltern und Großeltern sind durch das Leben in der Sow jetunion geprägt worden und haben eine etwas vorsichtige Einstellung zu Ehrenamt und Politik. Doch wir leben in einer off enen und demokratischen Gesellschaft, in der jeder mitreden und mitgestalten kann. Wir müssen aus der Rolle der schweigenden Beobachter endlich heraus und sollten zu Mitgestaltern und Mitbestimmern werden. Denn das ist nicht nur wichtig, sondern hier auch tatsächlich möglich! Und diese Chance sollten wir uns nicht entgehen lassen.

Die Fragen stellte Katharina Martin-Virolainen


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